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Die idyllischen Jahre
Am 12. Mai 1919, dem ersten Tag meines Ehelebens, regnete es ganz leise. Dieser sanfte Regen hatte etwas unbeschreiblich Beruhigendes; die Fernen schimmerten wie durch silbergraue Schleier, das dürstende, staubbedeckte Grün leuchtete frisch und erneut. Wir verbrachten einen glücklichen Vormittag in einem Buchantiquariat, wo wir ein seltenes altes Buch für einen gemeinsamen Freund erwarben; instinktiv hatten wir das Bedürfnis empfunden, Gaben auszuteilen, wie die Fürsten der Vergangenheit zu ihren Hochzeiten. Rückblickend will es mir scheinen, dass jener Regentag der einzige gewesen sei in vielen sonnendurchfluteten Wochen, die wir badend an den Ufern des Wörthersees verbrachten oder in einem Boot, das wir auf seinem glatten Spiegel treiben ließen. Oft legten wir in den einsamen, schilfüberwachsenen Buchten – den heute verschwundenen – des Ostufers an und blieben dort ganze Tage – malend, lesend, essend und immer wieder sprangen wir ins durchsichtige, aquamarinblaue Wasser und ließen uns an der Sonne trocknen. Zum ersten Mal lebte ich in der Gegenwart und für den Augenblick, ohne das Bedürfnis, vor der Wirklichkeit zu fliehen in eine imaginäre Welt. Jeden Morgen erwachte ich voll froher Erwartung des neuen Tages, die bloße Tatsache, am Leben zu sein, war ein berauschendes Abenteuer geworden.
Mein ungetrübtes Glücksgefühl dauerte jedoch etwas weniger als drei Wochen. Dann wurde unsere Welt beinahe von den Kielwellen des Krieges überschwemmt, und der dunkle Schatten der existenziellen Unsicherheit, der das Leben fast all meiner Zeitgenossen verdüstert hat, legte sich auf mein Gemüt.
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