DORIS MOSER

30 Jahre Ingeborg Bachmann-Preis: Frequently Asked Questions

Wer wird eingeladen und wer lädt ein?

Jedes Jurymitglied schlägt zwei Autorinnen und Autoren, die Prosa in deutscher Sprache schreiben, vor. Die Jury wird von den Veranstaltern ORF Kärnten und Stadt Klagenfurt nominiert. Allesamt treffen sich Ende Juni in der Woche des Geburtstags von Ingeborg Bachmann im Klagenfurter ORF-Theater, um den Wettbewerb auszutragen.

Und dann?

Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin hat max. 30 Minuten Zeit, seinen oder ihren unveröffentlichten Text vorzutragen, danach diskutiert und urteilt die Jury. Alles muss öffentlich geschehen, d.h. Lesungen, Diskussionen und die Preisvergabe im ORF-Theater sind frei zugänglich, 3sat überträgt live, und im Internet (http://www.bachmannpreis.at) gibt es Livestream, Downloads und die Texte zum Mitlesen.

Wie viel wurde in 30 Jahren (vor)gelesen?

Rechnet man mit durchschnittlich einer halben Stunde Lesezeit, so waren das insgesamt 322 Stunden oder rund 40 Arbeitstage.

Wie umfangreich wäre das ultimative Bachmann-Preis Buch mit allen Texten?

Ein mehrbändiges literarisches Sammelwerk von etwa 6400 Seiten.

… und wenn man die besten Texte nachlesen möchte?

Seit 1977 erscheint jährlich ein Band mit den preisgekrönten Texten und Berichten zur Veranstaltung (derzeit im Piper Verlag). Titel: Klagenfurter Texte [Wettbewerbsjahr].

Wie viele Autor/innen und Juror/innen nahmen in 30 Jahren Wettbewerb teil?

359 Autoren und 217 Autorinnen, was einem Verhältnis von 62% Männern und 38% Frauen entspricht, und 73 Juroren und 26 Jurorinnen, was einem Verhältnis von 74% Männern zu 26% Frauen entspricht. Während das statistische Verhältnis zwischen Autoren und Autorinnen nur um 2% vom Geschlächterverhältnis in der Literaturbranche abweicht (etwa 40% aller
schriftstellerisch Tätigen sind Frauen), sind bzw. waren Frauen in der Jury eklatant unterrepräsentiert.

Wie viele Autorinnen und Autoren sind mit einem Preis oder einem Stipendium ausgezeichnet worden?

Insgesamt sind 57 Autorinnen und 81 Autoren ausgezeichnet worden. Von allen Teilnehmer/innen hat also ziemlich genau ein Viertel auch einen Preis erhalten. Interessante Details: Während das Geschlechterverhältnis der Ingeborg-Bachmann-Preisträger/innen nahezu dem des Teilnehmerfelds entspricht (63% männliche zu 37% weibliche Gewinner), sind Autorinnen überdurchschnittlich oft mit einem der anderen Preise und Stipendien ausgezeichnet worden (57% Autoren, 43% Autorinnen).

Wieviel Preisgeld wurde insgesamt vergeben?

In 30 Jahren haben 138 Autorinnen und Autoren insgesamt 989.238 Euro „verdient“. Einen der insgesamt 146 gesponserten Preise haben die Autorinnen und Autoren des Jahres 1987 gemeinsam an Vereinigungen der Verfolgten des NS-Regimes gestiftet.

Wer darf sich Träger bzw. Trägerin des Ingeborg Bachmann-Preises nennen?

Gert Jonke (1977), Ulrich Plenzdorf (1978), Gert Hofmann (1979), Sten Nadolny (1980), Urs Jaeggi (1981), Jürg Amann (1982), Friederike Roth (1983), Erica Pedretti (1984), Hermann Burger (1985), Katja Lange-Müller (1986), Uwe Saeger (1987), Angela Krauß (1988), Wolfgang Hilbig (1989), Birgit Vanderbeke (1990), Emine Sevgi Özdamar (1991), Alissa Walser (1992), Kurt Drawert (1993), Reto Hänny (1994), Franzobel (1995), Jan Peter Bremer (1996), Norbert Niemann (1997), Sibylle Lewitscharoff (1998), Terézia Mora (1999), Georg Klein (2000), Michael Lentz (2001), Peter Glaser (2002), Inka Parei (2003), Uwe Tellkamp (2004), Thomas Lang (2005),
Kathrin Passig (2006).

Wer profitiert vom Wettbewerb?

Autorinnen und Autoren erreichen eine breite Öffentlichkeit durch die Liveübertragungen und die Berichte in den internationalen Zeitungen, und sie erreichen eine spezifische Öffentlichkeit durch die etwa 300 anwesenden Fachbesucher/innen aus der Literaturbranche (Verleger/innen, Lektor/innen, Agent/innen, Kritiker/innen). Für die Preisträger/innen rechnet sich die Teilnahme auch unmittelbar finanziell. Alle anderen Autor/innen haben zumindest
die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen – immer vorausgesetzt, sie sind (psychisch) in der Lage, den Medienrummel und die direkte, manchmal harsche, öffentliche Kritik an ihrem Werk zu ertragen, an dem sie oftmals lange und intensiv gearbeitet haben.

Für Jurymitglieder ist ein Auftritt in Klagenfurt eine prestigeträchtige Angelegenheit, sofern man über die nötige Expertise verfügt, keine Scheu vor öffentlichem Auftreten hat und über ein hohes Maß an rhetorischer Fähigkeit verfügt.

Die Stadt Klagenfurt verdient via Umwegrentabilität: Während der Tage der deutschsprachigen Literatur (Ende Juni, somit Vorsaison) sind in der Stadt die Hotelbetten ausgebucht. Klagenfurt wird im gesamten deutschsprachigen Raum mit dem Bachmann-Preis gleichgesetzt: Jährlich werden durchschnittlich 500 Berichte in Presse, Funk und Internet veröffentlicht, in denen Klagenfurt immer genannt wird. Würde man diese mediale Aufmerksamkeit via Werbung erreichen wollen, so wäre ein Vielfaches dessen zu investieren, was die Stadt jährlich für den Bachmannpreis ausgibt – ohne Erfolgsgarantie.

Der ORF ist als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt per Gesetz verpflichtet, seinen Kulturauftrag zu erfüllen: der Bachmann-Preis und die Übertragung der gesamten Veranstaltung in 3sat (an dem der ORF neben ARD, ZDF und Schweizer Fernsehen beteiligt ist) gehört zu den letzten Refugien eines ansonsten quotenorientierten Programms (und ist, verglichen mit anderen Eigenproduktionen und gemessen an der Sendezeit von etwa 20
Stunden, nicht sonderlich kostenintensiv).

Das Publikum schließlich hat die seltene Gelegenheit gute und weniger gute Literatur zu hören und guten und weniger guten Literaturkritikern bei der Arbeit zuzusehen. Seit 2002 vergibt das Publikum auch einen eigenen Preis via Internetabstimmung mit ausführlicher Begründung des eigenen Votings.

… und, ganz unter uns: Was machen die Autorinnen und Autoren mit dem Geld wirklich?

GERT JONKE (1977):
Ich habe aufgrund des Preises für das erste Kapitel von Der ferne Klang die Energie gehabt, mein späteres Hauptwerk zu vollenden.

STEN NADOLNY (1980):
Der Bachmannpreis hat mir Verlagsangebote verschafft und mir schneller ermöglicht, Berufsschriftsteller zu werden. Er hat mich zugleich mit dem Printmedien- und Fernsehzirkus bekannt gemacht, zu meiner Ernüchterung, aber nicht zum Schaden. Ich verteilte das
Preisgeld unter den Mitbewerbern, weil ich der Auffassung war (und bin), dass Literatur nicht Gegenstand von Wettbewerben sein sollte. Ich habe im Ernst nie wieder an einem teilgenommen.

ERICA PEDRETTI (1984):
Ich bzw. wir haben damit ein Atelierfenster bezahlt und den Rest aufgegessen.

SIBYLLE LEWITSCHAROFF (1998):
Die Frage ist etwas kurios, da das Preisgeld, wiewohl ein schönes und stattliches, wenn man es einfach so geschenkt erhält, doch wiederum nicht ein so hohes ist, dass man es nicht, gehen die Monate dahin, im Wirtshaus wieder ausgeben könnte.

Zitate der Autor/innen aus:
Angelika Klammer, Robert Schindel (Hg.): Klagenfurter Texte 2001. Salzburg: Jung und Jung 2001.