Diskussion um
Sterilisation rührt an der
Selbstbestimmung betroffener
Menschen
Wie unter anderem
„Der Standard“ (Steirerin
klagt wegen
"Zwangssterilisation" ohne ihr
Wissen) und "bizeps" (Steiermark:
Prozess um Zwangssterilisierung)
vor kurzem berichteten, erfuhr
eine 33jährige Frau mit
Lernschwierigkeiten im
Zusammenhang mit Untersuchungen
bzgl. ihres unerfüllten
Kinderwunsches davon, dass sie
vor vielen Jahren ohne ihr
Wissen und damit auch ohne ihre
Zustimmung im Zuge einer
Operation sterilisiert worden
war. Damals war die Frau 20
Jahre alt. Laut Medienberichten
hatten die Eltern der jungen
Frau die Sterilisation gewollt
und veranlasst.
Wie etwa
Schönwiese und Sailer-Lauschmann
(Sexualität
und geistige Behinderung;
Sterilisation) festgestellt
haben, betrifft
Zwangssterilisation vorwiegend
Frauen und führt zu einer Reihe
von äußerst negativen
Auswirkungen auf deren Leben bis
hin zu psychischen
Beeinträchtigungen. Volker
Schönwiese spricht an anderer
Stelle davon, dass 50 % der
Frauen mit geistiger Behinderung
sterilisiert sind, davon die
meisten ohne Einwilligung und
oft ohne ihr Wissen. In einer
Studie gab jede 4. geistig
behinderte Frau an, sterilisiert
zu sein, dazu kommen viele, die
es nicht wissen. Zur geltenden
Rechtslage bis 2001 folgerten
Schönwiese / Sailer-Lauschmann:
„Die
fehlende gesetzliche Regelung in
Österreich, die Sterilisation
gegen den Willen der betroffenen
Frauen grundsätzlich verbietet,
ist ein international durchaus
bemerkenswerter Skandal.“
Bis zum
Inkrafttreten des
Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes
am 1.7.2001 waren die
rechtlichen Grundlagen der
Sterilisation in Österreich
durch § 90 des Strafgesetzbuches
(StGB) geregelt. Sterilisation
galt demnach als absichtliche
Körperverletzung, die nicht
rechtswidrig war, wenn folgende
Kriterien zutrafen: die
betroffene Person war älter als
25 Jahre, willigte selbst ein
und der Eingriff verstieß nicht
gegen die “guten Sitten“. Über
die Sterilisation bei Menschen
mit geistiger Behinderung gab es
keine eigene Bestimmung,
lediglich die „Gute-Sitten-Klausel“
war dazu da, diese heikle
Materie zu „regeln“. Diese wurde
dahingehend konkretisiert (vgl.
Kopetzki 1995, S. 861), dass
folgende Gründe eine
Sterilisation rechtfertigen
können:
§ 90 StGB besagte
auch, dass Sterilisation ohne
jede Einwilligung eigentlich
ausnahmslos unzulässig war,
wobei als Kriterium die
Einwilligungsfähigkeit gegeben
sein musste. Diese war nicht an
die Geschäftsfähigkeit
gekoppelt, d.h. nicht
automatisch konnte jemand als
nicht einwilligungsfähig
angesehen werden, der einen
Sachwalter hatte. Bei Fehlen der
Einsichtsfähigkeit stellte sich
die Frage, ob eine ersatzweise
Zustimmung durch den Sachwalter
möglich war und dazu gab es
äußerst widersprüchliche
Rechtsmeinungen. Auf jeden Fall
musste eine eventuelle
Zustimmung des Sachwalters durch
das Gericht genehmigt werden,
zudem bedurfte es zuvor eines
Gutachtens über Urteils- und
Einsichtsfähigkeit, weiters
eines gynäkologisches Gutachten
zur Frage, ob eventuell schon
eine Sterilisation stattgefunden
hat bzw. die Person überhaupt
fruchtbar ist.
Gelebte Praxis
ist in Österreich war allerdings
jene, dass bei Minderjährigen
die einfache Zustimmung der
Eltern reichte und auch bei
Erwachsenen die betroffenen
Frauen selbst kaum je befragt
wurden, wie im vorliegenden Fall
besonders drastisch sichtbar
wurde. Darauf wurde von
Kritikern schon seit längerem
verwiesen, so etwa stellte Peter
Schlaffer, Geschäftsführer des
Vereins für Sachwalter- und
Patientenanwaltschaft 1998 bei
einer Enquete im Parlament zum
Thema „Zwangssterilisation“
fest, dass er „...es für einen
kolossalen Fehler halte, daß die
Sterilisation an minderjährigen
geistig behinderten Frauen durch
Zustimmung auch nur eines
Elternteils oder des
Jugendwohlfahrtträgers ohne
pflegschaftsgerichtliche
Genehmigung für zulässig
gehalten wird“. (Aus
der Sicht der Sachwalterschaft -
Zwangssterilisation)
Die Änderungen,
die durch das
Kindschaftsrechtsänderungsgesetz
2001 erfolgten, führten zu
folgenden Änderungen im ABGB, wo
es nun unter § 146d. lautet:
„Weder ein minderjähriges Kind
noch die Eltern können in eine
medizinische Maßnahme, die eine
dauernde
Fortpflanzungsunfähigkeit des
minderjährigen Kindes zum Ziel
hat, einwilligen“.
Bei volljährigen,
voll handlungsfähigen Personen
darf eine Sterilisation nur
unter der Voraussetzung der
persönlichen Zustimmung des/r
Betroffenen durchgeführt werden.
Eine Ausnahme liegt laut § 282
Abs 3 ABGB bei der Bestellung
eines Sachwalters vor, wobei
sehr enge Grenzen definiert
wurden, bei der eine eventuelle
ersatzweise Zustimmung mit
Zustimmung des
Pflegschaftsgerichtes erfolgen
kann (http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht/).
Eine
Sterilisation unter
Voraussetzungen, wie sie die
Frau wie eingangs beschrieben
erleiden musste, wäre laut der
derzeit geltenden Rechtslage
nicht zulässig, war aber auch
bereits unter den damals
geltenden Voraussetzungen
unzulässig!
Die Befürchtungen
des Anwaltes der Betroffenen,
„...dass auch heute noch derart
vorgegangen wird und Verstöße
gegen die Verpflichtung der
Bestellung eines Sachwalters und
der pflegschaftsgerichtlichen
Genehmigung geschehen“ ist nicht
von der Hand zu weisen. Ähnliche
Befürchtungen wurden in
Deutschland in Zusammenhang mit
der Regelung des Deutschen
Bundestages, wonach alle vier
Jahre ein Bericht über die
Sterilisation bei Menschen mit
geistiger Behinderung vorgelegt
werden muss, laut. Der Bericht
sollte über praktischen
Auswirkungen der im
Betreuungsgesetz enthaltenen
Regelungen zur Sterilisation
berichten. Durch das Deutsche
Betreuungsgesetz ist die
Sterilisation von Minderjährigen
verboten. Ersatzweise ist eine
Zustimmung nur dann möglich,
wenn sie dem Willen des
Betreuten nicht widerspricht und
wenn abzusehen ist, dass der
Betreute auf Dauer
einwilligungsunfähig bleiben
wird. Laut Bericht ist nach dem
Inkrafttreten des
Betreuungsgesetzes vom 1.1.1992
die Zahl der Sterilisation in
Deutschland drastisch
zurückgegangen. Von geschätzten
1000 Sterilisationen von geistig
behinderten Menschen pro Jahr
vor Inkrafttreten des neuen
deutschen Betreuungsrechtes,
sank die Zahl der von den
Gerichten genehmigten
Sterilisationen auf rund 90 im
Berichtszeitraum (http://dip.bundestag.de/btd/13/038/1303822.asc).
Kritiker befürchten allerdings,
dass vielleicht weniger
Sterilisationen beantragt, dafür
aber viele illegal durchgeführt
werden könnten, d.h. dass die
Dunkelziffer steigen könnte. Es
ist zu hoffen, dass diese
Befürchtungen im Zusammenhang
mit der neuen österreichischen
Rechtslage unbegründet sind.
Verfolgt man allerdings aktuelle
Diskussionen über Sterilisation,
so bleiben Zweifel!
Mehrere Aspekte
werden in Zusammenhang mit der
Diskussion der Sterilisation
wieder deutlich, nämlich, dass
die Sexualität von Menschen mit
Lernschwierigkeiten ein Tabu
darstellt. Durch Sterilisation –
so dachten und denken wohl viele
– konnte und kann man sich eine
Auseinandersetzung damit
ersparen. Sterilisation, so
wurde und wird auch heute noch
immer wieder argumentiert,
schütze die betroffenen Frauen
vor sexueller Gewalt,
verharmlost als „sexueller
Missbrauch“. Wahr ist vielmehr,
dass sexuelle Gewalttäter durch
die Sterilisation vor Verfolgung
geschützt wurden! Sichtbar wird
bei der Diskussion auch, dass
Sterilisation ein Thema ist, das
in erster Linie Frauen
mit geistiger Behinderung
betrifft, denen Selbstbestimmung
im Bereich Partnerschaft und
Sexualität weitgehend verwehrt
wird (siehe dazu auch
Stolperstein Nr. 15 "Teilhabe(chancen)
von Frauen mit
Lernschwierigkeiten). Die
Notwendigkeit, die betroffenen
Frauen bei selbstbestimmtem
Leben zu unterstützen, wird
durch die Diskussion wieder
drastisch verdeutlicht – ganz
besonders, wenn es um die
Tabuthemen Sexualität und
mögliche Mutterschaft geht!
Marion Sigot
27. November 2005