+ + + Unterstützen Sie unsere Stolpersteinsammlung: Senden Sie uns konkrete Beispiele für Diskriminierungen behinderter Menschen sowie auch etwaige Lösungsvorschläge für die Beseitigung von Barrieren! + + +

 

Stolperstein der Woche 52

 

Diskussion um Sterilisation rührt an der Selbstbestimmung betroffener Menschen

Wie unter anderem „Der Standard“  (Steirerin klagt wegen "Zwangssterilisation" ohne ihr Wissen) und "bizeps" (Steiermark: Prozess um Zwangssterilisierung) vor kurzem berichteten, erfuhr eine 33jährige Frau mit Lernschwierigkeiten im Zusammenhang mit Untersuchungen bzgl. ihres unerfüllten Kinderwunsches davon, dass sie vor vielen Jahren ohne ihr Wissen und damit auch ohne ihre Zustimmung im Zuge einer Operation sterilisiert worden war. Damals war die Frau 20 Jahre alt. Laut Medienberichten hatten die Eltern der jungen Frau die Sterilisation gewollt und veranlasst.

Wie etwa Schönwiese und Sailer-Lauschmann (Sexualität und geistige Behinderung; Sterilisation) festgestellt haben, betrifft Zwangssterilisation vorwiegend Frauen und führt zu einer Reihe von äußerst negativen Auswirkungen auf deren Leben bis hin zu psychischen Beeinträchtigungen. Volker Schönwiese spricht an anderer Stelle davon, dass 50 % der Frauen mit geistiger Behinderung sterilisiert sind, davon die meisten ohne Einwilligung und oft ohne ihr Wissen. In einer Studie gab jede 4. geistig behinderte Frau an, sterilisiert zu sein, dazu kommen viele, die es nicht wissen. Zur geltenden Rechtslage bis 2001 folgerten Schönwiese / Sailer-Lauschmann: „Die fehlende gesetzliche Regelung in Österreich, die Sterilisation gegen den Willen der betroffenen Frauen grundsätzlich verbietet, ist ein international durchaus bemerkenswerter Skandal.“

Bis zum Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes am 1.7.2001 waren die rechtlichen Grundlagen der Sterilisation in Österreich durch § 90 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Sterilisation galt demnach als absichtliche Körperverletzung, die nicht rechtswidrig war, wenn folgende Kriterien zutrafen: die betroffene Person war älter als 25 Jahre, willigte selbst ein und der Eingriff verstieß nicht gegen die “guten Sitten“. Über die Sterilisation bei Menschen mit geistiger Behinderung gab es keine eigene Bestimmung, lediglich die „Gute-Sitten-Klausel“ war dazu da, diese heikle Materie zu „regeln“. Diese wurde dahingehend konkretisiert (vgl. Kopetzki 1995, S. 861), dass folgende Gründe eine Sterilisation rechtfertigen können:

  • „Genetische Indikation“ : Gefahr von erheblicher Schädigung des Nachwuchses

  • „medizinisch-soziale Indikation“: Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden durch die mit der Geburt verbundenen Belastungen

§ 90 StGB besagte auch, dass Sterilisation ohne jede Einwilligung eigentlich ausnahmslos unzulässig war, wobei als Kriterium die Einwilligungsfähigkeit gegeben sein musste. Diese war nicht an die Geschäftsfähigkeit gekoppelt, d.h. nicht automatisch konnte jemand als nicht einwilligungsfähig angesehen werden, der einen Sachwalter hatte. Bei Fehlen der Einsichtsfähigkeit stellte sich die Frage, ob eine ersatzweise Zustimmung durch den Sachwalter möglich war und dazu gab es äußerst widersprüchliche Rechtsmeinungen. Auf jeden Fall musste eine eventuelle Zustimmung des Sachwalters durch das Gericht genehmigt werden, zudem bedurfte es zuvor eines Gutachtens über Urteils- und Einsichtsfähigkeit, weiters eines gynäkologisches Gutachten zur Frage, ob eventuell schon eine Sterilisation stattgefunden hat bzw. die Person überhaupt fruchtbar ist.

Gelebte Praxis ist in Österreich war allerdings jene, dass bei Minderjährigen die einfache Zustimmung der Eltern reichte und auch bei Erwachsenen die betroffenen Frauen selbst kaum je befragt wurden, wie im vorliegenden Fall besonders drastisch sichtbar wurde. Darauf wurde von Kritikern schon seit längerem verwiesen, so etwa stellte Peter Schlaffer, Geschäftsführer des Vereins für Sachwalter- und Patientenanwaltschaft 1998 bei einer Enquete im Parlament zum Thema „Zwangssterilisation“ fest, dass er „...es für einen kolossalen Fehler halte, daß die Sterilisation an minderjährigen geistig behinderten Frauen durch Zustimmung auch nur eines Elternteils oder des Jugendwohlfahrtträgers ohne pflegschaftsgerichtliche Genehmigung für zulässig gehalten wird“. (Aus der Sicht der Sachwalterschaft - Zwangssterilisation)

Die Änderungen, die durch das Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 2001 erfolgten, führten zu folgenden Änderungen im ABGB, wo es nun unter § 146d. lautet: „Weder ein minderjähriges Kind noch die Eltern können in eine medizinische Maßnahme, die eine dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit des minderjährigen Kindes zum Ziel hat, einwilligen“.

Bei volljährigen, voll handlungsfähigen Personen darf eine Sterilisation nur unter der Voraussetzung der persönlichen Zustimmung des/r Betroffenen durchgeführt werden. Eine Ausnahme liegt laut § 282 Abs 3 ABGB bei der Bestellung eines Sachwalters vor, wobei sehr enge Grenzen definiert wurden, bei der eine eventuelle ersatzweise Zustimmung mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes erfolgen kann (http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht/).

Eine Sterilisation unter Voraussetzungen, wie sie die Frau wie eingangs beschrieben erleiden musste, wäre laut der derzeit geltenden Rechtslage nicht zulässig, war aber auch bereits unter den damals geltenden Voraussetzungen unzulässig!

Die Befürchtungen des Anwaltes der Betroffenen, „...dass auch heute noch derart vorgegangen wird und Verstöße gegen die Verpflichtung der Bestellung eines Sachwalters und der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung geschehen“ ist nicht von der Hand zu weisen. Ähnliche Befürchtungen wurden in Deutschland in Zusammenhang mit der Regelung des Deutschen Bundestages, wonach alle vier Jahre ein Bericht über die Sterilisation bei Menschen mit geistiger Behinderung vorgelegt werden muss, laut. Der Bericht sollte über praktischen Auswirkungen der im Betreuungsgesetz enthaltenen Regelungen zur Sterilisation berichten. Durch das Deutsche Betreuungsgesetz ist die Sterilisation von Minderjährigen verboten. Ersatzweise ist eine Zustimmung nur dann möglich, wenn sie dem Willen des Betreuten nicht widerspricht und wenn abzusehen ist, dass der Betreute auf Dauer einwilligungsunfähig bleiben wird. Laut Bericht ist nach dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes vom 1.1.1992 die Zahl der Sterilisation in Deutschland drastisch zurückgegangen. Von geschätzten 1000 Sterilisationen von geistig behinderten Menschen pro Jahr vor Inkrafttreten des neuen deutschen Betreuungsrechtes, sank die Zahl der von den Gerichten genehmigten Sterilisationen auf rund 90 im Berichtszeitraum (http://dip.bundestag.de/btd/13/038/1303822.asc). Kritiker befürchten allerdings, dass vielleicht weniger Sterilisationen beantragt, dafür aber viele illegal durchgeführt werden könnten, d.h. dass die Dunkelziffer steigen könnte. Es ist zu hoffen, dass diese Befürchtungen im Zusammenhang mit der neuen österreichischen Rechtslage unbegründet sind. Verfolgt man allerdings aktuelle Diskussionen über Sterilisation, so bleiben Zweifel!

Mehrere Aspekte werden in Zusammenhang mit der Diskussion der Sterilisation wieder deutlich, nämlich, dass die Sexualität von Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Tabu darstellt. Durch Sterilisation – so dachten und denken wohl viele – konnte und kann man sich eine Auseinandersetzung damit ersparen. Sterilisation, so wurde und wird auch heute noch immer wieder argumentiert, schütze die betroffenen Frauen vor sexueller Gewalt, verharmlost als „sexueller Missbrauch“. Wahr ist vielmehr, dass sexuelle Gewalttäter durch die Sterilisation vor Verfolgung geschützt wurden! Sichtbar wird bei der Diskussion auch, dass Sterilisation ein Thema ist, das in erster Linie Frauen mit geistiger Behinderung betrifft, denen Selbstbestimmung im Bereich Partnerschaft und Sexualität weitgehend verwehrt wird (siehe dazu auch Stolperstein Nr. 15 "Teilhabe(chancen) von Frauen mit Lernschwierigkeiten). Die Notwendigkeit, die betroffenen Frauen bei selbstbestimmtem Leben zu unterstützen, wird durch die Diskussion wieder drastisch verdeutlicht – ganz besonders, wenn es um die Tabuthemen Sexualität und mögliche Mutterschaft geht!

Marion Sigot

27. November 2005

nach oben


<<< zurück

startseite

weiter >>>

Stolpersteine auf dem Weg zur Gleichstellung ist eine Aktion von:

 

 

beratungs-, mobilitäts- und kompetenzzentrum, universitätsstr. 65, 9020 klagenfurt | ek